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   Diese
  Seiten richten sich an PsychologInnen, SozialwissenschaftlerInnen,
  Studierende und Interessierte, die einen Einstieg bei der Beschäftigung mit
  der Methode der Introspektion suchen. In den einzelnen Abschnitten können Sie
  sowohl grundlegende Texte über die klassische Methode (Geschichte) finden wie
  auch unsere Weiterentwicklung der dialogischen Introspektion (Methode). Die
  Texte zur Methodologie beschreiben die zugrundeliegenden Positionen der
  Methode. 
  Kurzfassung
  Was ist Dialogische Introspektion?
  Dialogische
  Introspektion in der Gruppe ist eine theoriegesteuerte Methode, die
  subjektive Daten aus der eigenen Erlebniswelt produziert und im Rahmen der qualitativ-heuristischen
  Methodologie zu intersubjektiven Erkenntnissen führt. 
  Ablauf
  Die
  Daten werden in einer Gruppe von 5 bis 15 Personen mit einem Versuchsleiter
  nach einem bestimmten, auf die innere
  Wahrnehmung (Brentano, 1874/1973, S. 40) abzielenden Instruktion
  erhoben und dabei dokumentiert, am besten mit Tonband. 
  Nach Nennung des Themas, der Vorstellung des Forschungsgegenstandes wird in
  einer allgemeinen Instruktion über die Vorgehensweise informiert: „Seien Sie
  offen und aufmerksam für alles, was während der Auseinandersetzung mit dem
  Introspektionsthema in Ihnen vorgeht, Ihre Gedanken, Phantasien und
  Erinnerungen, Ihre Empfindungen und Gefühle. Lassen Sie alle Gefühle und
  Einfälle zu. Sie können sich schon während der Introspektion Notizen machen.“
  Dann treten die Teilnehmenden in eine Introspektionsphase von mehreren
  Minuten ein, in der die sie aufmerksam ihr inneres Erleben und die dabei
  ablaufenden Prozesse registrieren, sie können sie dabei schriftlich notieren.
  Diese schriftlichen Notizen verbleiben bei den Teilnehmern. Dann berichten
  sie über ihre Erlebnisse reihum und hören dabei die Berichte der anderen. Sie
  werden dadurch angeregt, sich erneut mit ihrer Introspektion zu beschäftigen
  und Erlebnisse, die sie vergessen oder nicht differenziert geschildert
  hatten, zu berichten, wozu sie in einer zweiten Runde Gelegenheit haben. Die
  Teilnehmenden sollen sich nicht
  zu den Berichten der übrigen Personen äußern, weder zustimmend noch kritisch.
  Dies soll die Selektion der Erlebnisse nach ihrer sozialen Erwünschbarkeit
  minimieren und gruppendynamische
  Effekte dämpfen. Hierdurch unterscheidet sich die Dialogische
  Introspektion u. a. von der Gruppendiskussion („focus
  group“). 
  Die
  erforschbaren Themen umfassen alle Arten von subjektiven Erlebnissen. Sie
  sind für eine Reihe von Forschungsgegenständen schon ausgeführt worden (=>
  Analysen). 
  Leistungen
  
   - Vergleichsweise
       leichter Zugang zum inneren Erleben unter kontrollierten Bedingungen.
       Menschen berichten im Alltagsleben in einer kleinen Gruppe gerne über
       ihre Erfahrungen, wenn ihnen die Zuhörer bekannt und vertrauenswürdig
       sind. Bei wissenschaftlichen Untersuchungen müssen sie entsprechend
       gebeten, über den Charakter der Untersuchung aufgeklärt und über die
       Einhaltung der gesetzlichen und ethischen Normen vergewissert werden,
       besonders über die strikte Anonymität bei der Verwendung ihrer Angaben.
 
   - Minimierung
       der Konformität der Teilnehmenden. Eines
       der Grundprobleme bei Gruppenforschung für kommerzielle Zwecke, die
       Anwerbung derselben Teilnehmer aus Karteien und daraus folgende
       Konformität der Antworten reduziert sich, weil die Methode Erlebnisse
       aus ganz unterschiedlichen Biografien abruft. Selbst unsere eigene, seit
       Jahren bestehende Forschungsgruppe produzierte zu unterschiedlichen
       Themen immer neue und überraschende Erlebnisse.
 
   - Ein
       humanistisches Konzept der Datenerhebung.
       Teilnehmende werden in einer weitgehend egalitären Gruppe nicht als
       „Versuchspersonen“, sondern als gleichwertige Partner behandelt, deren
       Kooperation für die Forschung essentiell ist.
       Sich zu erinnern kann für die Betreffenden lustvoll sein, ist es bei
       „bewältigten“ Alltagsereignissen auch meistens. Kenntnis zu erhalten von
       der Erfahrung anderer ist oftmals interessant. Die so gewonnenen Daten
       sind „natürlich“, nahe an den Erlebnissen, der Einfluss durch die
       Methode ist gedämpft. Sie arbeitet ohne vorgegebene Schemata, qualitativ
       – entdeckend, im Gegensatz zu geschlossenen, stark strukturierten
       Erhebungen zur Hypothesenprüfung.
 
       Da jede teilnehmende Person Gelegenheit erhält, ihre Erlebnisse ohne
       Bewertung ihrer Aussage durch andere vorzutragen, entfällt die
       Moderation wie bei Gruppendiskussionen. Die häufig störenden
       gruppendynamischen Effekte werden minimiert. 
   - Komplexität
       und Qualität der Daten. Sie sind tendenziell
       komplexer und differenzierter als bei privater individueller Reflexion,
       weil die Introspektion anderer anregt, die eigenen Erlebnisse zum
       gleichen Thema zu erkunden und gewahr zu werden, was vergessen oder als
       nicht wichtig angesehen wurde. Auch flüchtige Erlebnisse können wieder
       in das Bewusstsein treten. Die Produktion verschiedener Sichtweisen zum
       gleichen Thema wird von der heuristischen Methodologie gefordert.
 
   - Offenheit
       für zahlreiche psychische und soziale Bereiche.
       Verschiedene kognitive, affektive und emotionale Aspekte, Themen der
       Wahrnehmung, der Vorstellung, des Willens und der Bewertung, erlebte und
       reflektierte Gehalte können erforscht werden. Die Methode ist auch offen
       für sozialpsychologische,
       soziale
       und kulturelle Themen,
       die das subjektive Erleben verarbeitet.
 
   - Forschungsökonomische
       Datenerhebung. Durch den Einsatz von
       Gruppen und die jeweils zeitlich befristete
       Erhebung – zumeist unter einer Stunde – ist das Untersuchungsverfahren
       vergleichsweise zeit- und kostengünstig, im Gegensatz zu qualitativen
       Einzelinterviews face-to-face, zu
       therapeutischen Einzel- und Gruppengesprächen oder auch der
       Introspektion nach der klassisch-psychologischen Methode von Wundt, Titchener und der Würzburger Schule.
 
   - Überführung
       der Daten in intersubjektive Geltung. Durch
       die „Analyse auf Gemeinsamkeiten“ nach der heuristischen
       Methodologie werden nach Beendigung der Erhebungsphase und
       Verschriftung der Aussagen die Übereinstimmungen in den Berichten aus
       den Unterschieden herausgefiltert; dies sind definitionsgemäß deren
       intersubjektiv vorhandene Kennzeichen.
 
   - Nach
       Aussagen von Teilnehmenden kann ein Vergemeinschaftungseffekt
       eintreten, da manchmal sehr persönliche Erlebnisse Zuhörende zu
       „Mitwissern“ machen. Dies kann möglicherweise therapeutisch genutzt
       werden.Wir verfolgen
       diese Hinweise.
 
   
  Zusammengefasst:
  Die Erhebungsform zeichnet sich aus durch verbesserte Qualität der Daten
  gegenüber Einzelinterviews, vergleichsweise leichte Erhebbarkeit
  und Forschungsökonomie. 
  Vorbehalte
  Gegen
  diese Vorzüge bei der fachgerechten Anwendung der Methode sind die folgenden
  Aspekte abzuwägen: 
  
   - Offenheit.
       Die Teilnehmenden müssen sich „öffnen“. Mitteilungen von Gefühlen und
       Erlebnissen setzen Vertrautheit mit den anderen Mitwirkenden voraus und
       die Sicherheit, dass mit den Informationen nicht zum eigenen Schaden
       umgegangen wird. Dies erfordert gegebenenfalls vertrauensbildende
       Aktionen des Versuchsleiters. Entscheidend für das Gelingen der
       Dialogischen Introspektion sind neben der Motivation der Teilnehmer und ihrer
       Fähigkeit, sich
       auszudrücken, die Vertrauenswürdigkeit
       der Gruppe, in der berichtet wird.
 
   - Kontrolle.
       Das Erhebungsverfahren selbst muss kontrolliert werden. Die Mitteilungen
       aus den introspektiven Prozessen dürfen nicht zum Gegenstand einer
       Bewertung und damit in Frage gestellt werden. Dies wird durch den
       Introspektionsleiter zu Beginn der Veranstaltung mitgeteilt,
       gegebenenfalls während der Introspektion nochmals bekräftigt. Die
       Sitzung fördert den inneren Dialog, des offene Gespräch soll unterdrückt
       werden.
 
   - Die
       Datenanalyse ist aufwendig. Sie erfolgt immer separat.
       Die „Analyse auf Gemeinsamkeiten“ nach der heuristischen Methodologie
       bedarf eines gewissen, manchmal nicht unerheblichen Zeitaufwandes. Dies
       ist ein Kennzeichen vieler Bemühungen, etwas zu finden, das so vorher
       nicht gesehen wurde, vielleicht überhaupt neu ist. Eine Schnelldiagnose,
       die auch noch richtig ist, ist eine große Seltenheit. Sie würde man nur
       sehr erfahrenen Forschern zugestehen, die aber, gerade durch ihre
       Erfahrung gewitzt, vor Schnelldiagnosen zurückschrecken und den
       mühsameren Weg der Belege und Prüfungen aller Daten bis zur Lösung eines
       Problems gehen.
 
   - Aufdeckung
       unbewusster Strukturen ist nicht das Ziel.
       Dialogische Introspektion in einer
       Sitzung, wenn auch mit zweifachem Durchgang, kann Vorbewusstes
       produzieren, auch „Vergessenes“ in die Erinnerung rufen. Die „Tiefe“ der
       Psychoanalyse und Psychotherapie, die häufige Besuche der Klienten
       nutzt, will und kann sie nicht erreichen. Jedoch sind solche
       Mitteilungen im Allgemeinen umfänglicher, persönlicher und
       differenzierter als Meinungen, die in einem „normalen“ Gespräch geäußert
       werden, auch solche bei unstrukturierten qualitativen oder narrativen
       Interviews.
 
   - Gruppenspezifische
       Geltung. Die Analyse vermag die Struktur eines Sachverhalts aufzuklären
       – ob diese Struktur aber auch anderswo oder von anderen so gesehen wird,
       bleibt weiterer Forschung vorbehalten. In dieser Hinsicht unterscheidet
       sich die Methode nicht von anderen Einzelfall-Studien, deren Reichweite
       durch das Sample der Teilnehmer bestimmt wird.
 
   
  Zusammengefasst:
  Die erfolgreiche Anwendung jeder Methode setzt die Existenz bestimmter
  sozialer und psychischer Bedingungen voraus. Bei der Dialogischen
  Introspektion ist die Vertrauenswürdigkeit der Adressaten gefragt, die
  Motivation der Teilnehmer wie auch ihre Fähigkeit, sich verbal auszudrücken.
  Wie immer bei qualitativen Daten ist die Analyse der Berichte zeitaufwendig.
  Wir empfehlen die Systematik der qualitativ-heuristischen Methodologie, die
  eine Analyse auf Gemeinsamkeiten verlangt. Als Beispiel dafür sei auf die Analyse des
  Erlebens eines konkreten Raums verwiesen. 
  Ziele und Arbeitsweisen der
  Hamburger Gruppe
  Es
  handelt sich um einen Workshop zur Erforschung von psychisch und sozial
  relevanten Beziehungen durch eigene empirische Forschung zumeist in der
  Gruppe selbst. Die Atmosphäre ist locker und demokratisch: die Gruppe
  entscheidet, was sie tun will. Gleichwohl gibt es dominante Ziele und
  gemeinsame Überzeugungen. 
  Derzeit
  sind wir vor allem an Introspektion interessiert. Das ist die
  "klassische" Methode der europäischen frühen Psychologie (Brentano,
  Wundt, Würzburger Schule u.a.), die auch in Nordamerika eingeführt (Titchener), aber seit den zwanziger Jahren dort durch den
  Behaviorismus als "unwissenschaftlich" deklariert wurde. Die
  europäische Entwicklung wurde durch den Nazismus abgeschnitten. 
  Im
  Zuge der Re-Vitalisierung qualitativer Methoden in den beiden letzten
  Jahrzehnten haben wir eine Neubewertung der klassischen Introspektion
  vorgeschlagen. Dazu haben wir eine eigene gruppengestützte Methode
  entwickelt, die wir bei unseren Sitzungen praktizieren. Daneben interessieren
  wir uns für grundlegende Fragen zur Methodologie qualitativer Forschung. 
  Vergangenheit und Aktivitäten der Arbeitsgruppe 
  Bitte
  besuchen Sie auch unsere Seiten zur Qualitativen Heuristik www.heuristik-hamburg.net 
  Aktuelle Publikation
  Burkart, Thomas (2018). Dialogic Introspection—a Method of
  Investigating Experience. Human
  Arenas 1: 167. https://doi.org/10.1007/s42087-018-0027-5 [Datum des Zugriffs: 23.03.2025]. 
  Burkart, Thomas, Hagemann, Ottmar, &
  Krotz, Friedrich (2023). Gerhard Kleining (1926-2022): ein Nachruf. Forum Qualitative Sozialforschung Forum: Qualitative Social Research, 24(3). https://doi.org/10.17169/fqs-24.3.4139
  [Datum des Zugriffs: 23.03.2025]. 
   Letzte
  Änderung 23.3.2025 
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